Wie zu erwarten war, haben wir die Nacht so gut wie kein Auge zubekommen. Nachdem die schlimmste Erschöpfung weggeschlafen war, hatte das Töchterlein solche Schmerzen, dass es einfach nicht mehr ging und sie weinen und weinen musste ohne Unterlass und Rückhalt. Bis auf den Schmerzsirup (Ibu für Kinder), den wir in der Reiseapotheke hatten, gab es kaum etwas, das wir tun konnten und so sehnten wir uns einerseits nach Schlaf, andererseits danach alsbald möglich zum Hafen zu fahren, die Fähre zu nehmen und nach Cancun rüber ins Krankenhaus zu fahren, um die Situation wieder in den Griff zu bekommen und Gewissheit zu haben was nun ist.
Mit grob geschätzt drei Stunden richtigem Schlaf haben wir uns zu einem Wetter erhoben, das an Wolken und auch an Wind nur noch zugenommen hatte im Gegensatz zum letzten Morgen. Prima Aussichten, um sich mit den zwei Damen, die leicht reisekrank werden, auf die Fahrt mit der Fähre zu begeben. Das Töchterlein gab sich, nun wieder wach, wieder recht gefasst. Ich bekam den Sohnematz überantwortet und bin mit ihm in der Trage einfach eine ganze Weile draußen auf der kleinen Hotelanlage herumspaziert während Myriam sich unserer Tochter widmete.
Letztere war tatsächlich bereit noch zum Frühstück zu gehen wie wir es die letzten Tage gemacht hatten. Ich wäre ja vor Stress und Schlafmangel am ehesten gleich losgerannt, aber so haben wir tatsächlich klugerweise noch etwas gegessen vor unserem potentiell ziemlich langen Notausflug. Für den haben wir erst noch ein mal die hilfsbereite Rezeptionistin versuchen lassen diesen Dr. Jorge zu erreichen, der mir am letzten Abend so wärmstens ans Herz gelegt worden war. Der war jedoch der Weihnachtsferien wegen noch bei der Familie in Mexikostadt und auch sonst war kein Unfallchirurg im besagten Krankenhaus zugegen. Denn … es war ja inzwischen Sonntag! Domingo! Zeit für Gottesdienst. Arrrgh. Die Dame hatte zum Glück noch die Nummern von zwei anderen Krankenhäusern parat und nach einigen Anrufen fand sich im letzten ein Arzt, der bereit wäre sich unser Mädchen mal anzuschauen. Phew.
Nun hieß es also schnell das Frühstück verdrücken, bei dem auch die Kellner höflich und verständnisvoll fragten, ob etwas passiert sei, und dann schnell fertig machen, sodass wir halbwegs den Terminplan des Herrn Doktors einhalten könnten. Also wurde wieder ein Taxi gerufen, diesmal sogar mit funktionierenden Stoßdämpfern, wir haben die Kinder gewechselt und sind dann zum Hafen gefahren, wo Myriam auf meine Anweisung hin nochmal 7000$MXN von der Kreditkarte geholt hat, für den Fall dass es in Cancun doch etwas teurer wird. Ansonsten würden wir im restlichen Verlauf des Urlaubs ja auch nochmal los werden. Dann begann das warten auf die Fähre, denn die letzte hatten wir mit dem Kauf der Tickets geradeso verpasst.
Zum Glück waren immerhin die Damen gegen das Gewackel gestählt dank Vomex A und der Wind an der Playa Norte erwies sich auch als wesentlich stärker, als der auf der Überfahrt von Isla Mujeres aufs Festland. Immerhin etwas. Ein paar Regentropfen haben wir auf der Überfahrt zwar abbekommen, aber ansonsten sah das Wetter eher schlimmer aus, als es wirklich war. Zurück am Gran Puerto schnell ein Taxi gesucht. 150$ zum Amerimed. Okay, mir egal, hauptsache los. Das Krankenhaus ist zum Glück auch relativ nah an der großen Nord-Süd-Carretera entlang der Küste Yucatáns/Quintana-Roos gelegen, sodass die Fahrt recht einfach war.
Wild war sie natürlich trotzdem. Ein Autounfall mit unangeschnallten Kindern, eines davon eh schon „lastimada“, das hätte nun wirklich nicht sein müssen. Das Töchterlein hielt weiter sehr tapfer durch. Einerseits stieg die Spannung, andererseits kamen wir der Erleichterung für das Kind näher. Aber was wenn sie operiert werden müsste? Vollnarkose? Wir wartend in irgendeinem Raum im fremden Land? Danach stationäre Behandlung? Wie sollte das alles laufen?
Das Krankenhaus war dann einerseits wesentlich leerer, andererseits ein gutes Stück moderner als erwartet. Vorallem mit der Erfahrung der zwei Krankenhäuser am vorigen Abend als Grundlage. Bis auf eine andere Frau mit zwei Kindern, die aber unverletzt und guter Dinge schienen und dem Personal waren wir nach ein paar Minuten die Einzigen dort.
Während Myriam das Anmeldeformular ausfüllte, konnte das Töchterlein ein wenig Pippi Langstrumpf auf dem iPad gucken. Wir hatten allerdings völlig auf Adrenalin die Reisepässe im Carry-On-Koffer im Na Balam stecken lassen und konnten somit gar nicht mal beweisen, dass das Kind, was wir da anschleppten, überhaupt unseres ist. Ein Glück waren wir in Mexiko und nicht in den USA, wo vielleicht gleich jemand Entführung gebrüllt hätte. Es sei kein Problem, sagte die Dame am Empfang. Einfach alles ganz normal eintragen. Ein Glück auch, dass die Kinder so super mitmachten.
Nicht mal eine Folge ging vorbei, dann durften wir schon ins Behandlungszimmer. Der Doktor würde dann gleich erscheinen. Ich glaube in diesem Zeitraum war die Spannung so gut wie am Überkochen. Was würde nun sein? Alles ganz kompliziert? Teuer? Würden die Reisepläne über den Haufen geworfen? Gäbe es einen anderen, einfacheren Weg? Könnten wir alles bezahlen?
Ein Glück war der Doc so ein richtig vertrauenserweckender. Gut gelaunt – aber nicht zu gut, man will ja Empathie zeigen – kam er herein und sprach uns mit leichtem Lispeln auf perfektem Englisch an. Mit der Überweisung von Isla Mujeres und einer kurzen Aufrischung über die Geschichte unsererseits hatte er recht schnell eine Theorie über Hergang und Verletzung beisammen. Das Kind seit vermutlich so ungünstig gefallen, weil sie sich mit der Hand abfangen wollte, diese jedoch unter ihrem Körper landete, womit trotz der weichem Matratze eine große Kraft auf den verdrehten Unterarm wirkte, sodass die Speiche in die Elle hinein drückte und diese vermutlich gebrochen hätte. Dies wäre insofern Glück im Unglück, als dass es sich um einen einfachen Bruch handeln würde, den man nur eingipsen und für etwa einen Monat allein lassen müsse, bis die sich schnell teilenden kindlichen Knochenzellen ihre Arbeit geleistet hätten und der Arm wieder gesund wäre. 30% schneller, als bei unseren faulen und labberigen Erwachsenenkörpern.
Nun will man natürlich nicht den Tag vor dem Abend loben und der Arzt mahnte auch erst noch die Ergebnisse der Röntgenbilder abzuwarten, aber wenn schon der Mann vom Fach so viel Hoffnung macht, kann man diese wohl auch annehmen. Von einem Pfleger wurde ich mit dem Töchterlein auf dem Arm (Mama könne beim Bruder bleiben, auch wenn der Doktor meinte wir können alle mitkommen) auf einem extrabreiten Rollstuhl im Sauseschritt zum Röntgenraum gefahren, der im inneren des Gebäudes lag, wo kein Tageslicht mehr hin kommt. Ein bißchen gruselig war es schon mit dem grünlichen Licht und der großen Röntgenmaschine. Das Positionieren des Arms war natürlich nochmal eine knifflige und schmerzhafte Angelegenheit, aber unsere Kleine hat das wieder tapfer mitgemacht. Zwei leise *Klonks* später waren die Bilder gemacht und der Pfleger fuhr uns in noch schnellerem Tempo zurück zu Bruder und Mama. Wenigstens ein bißchen das Kind belustigen. Meine Beteuerungen, dass ich auch einfach mit ihr laufen könnte, wurden beiseite gewischt.
Kurze Zeit später kam El Doctor mit den fertigen Bildern wieder und hatte die guten Neuigkeiten für uns, dass es sich ziemlich exakt so mit dem Arm verhielt wie er es beschrieben hatte. Die Elle war etwa in der Mitte gebrochen, ein moderner Gips mit Fiberglas, der auch ein wenig Wasser ab kann, würde den Arm fixieren und Abhilfe von den Schmerzen schaffen. Nach 30 Tagen noch ein mal untersuchen lassen, klar, in Deutschland, dann ab das Ding. Das Brüderlein strahlte weiterhin beste Laune aus und vertrieb sich die Zeit im Wartezimmer mit Herumkrabbeln und Brabbeln. Papa und Tochter kamen wieder in den Rollstuhl, um die etwa 10m zu dem Raum gefahren zu werden wo die Schiene gegen den Gips getauscht würde. Dieser war, wie man sieht ein besonderer. Wir hatten den guten Mann wohl etwas überrascht, als er Fragen unsererseits einlud und die einzige die war, ob man die Farbe des Gipses aussuchen könne. Eigentlich seien die Dinger grau. Aber er hätte womöglich in seinem Büro noch ein paar farbige rumliegen. Pink? Hmmm, ja, pink müsste noch genau einer da sein. Leider musste zum Eingipsen der Arm noch ein mal schmerzhaft hochgehalten werden, aber der Doktor versicherte uns immer wieder „Sie werden gleich sehen, wenn der Arm eingegipst ist, wird sie sich schon ganz anders verhalten. Morgen läuft sie damit herum und in ein paar Tagen spielt sie als wäre gar nichts gewesen. Kinder stecken das schnell weg.“ Deswegen gab es auf dem Rückweg zum Rest der Familie auch keinen Rollstuhl mehr und ich sollte unsere Kleine auch schon nicht mehr tragen. Sie solle selber spüren, dass der Arm nun versorgt ist und sie nicht übervorsichtig sein braucht. Ich hätte sie lieber getragen, aber wenn es der Doc sagt.
Er verabschiedete uns dann noch sehr nett, versicherte uns, dass man die nächsten Tage schon ziemlich Besserung erwarten darf und dass nach einer Weile der Gips quasi komplett ignoriert wird als wäre er schon immer Teil des Körpers gewesen. Naja, aber das sollte er ja eh nur für 30 Tage bleiben. Zum Glück. Mir fiel endlich ein riesiger Stein vom Herzen. Der ganze Stress, die Aufregung, die schlechte Nacht, alles egal. Hauptsache unserer Tochter geht es – halbwegs – gut. Nun stand natürlich noch die Sache der Bezahlung an. Aber auch hier gute Nachrichten, Behandlung, Material und Krankenhausgebühren summierten sich auf knapp 9000$. An dem Tag etwa 425€. Diese konnten direkt an dem kleinen Bankschalter mit Kreditkarte bezahlt werden. Phewwwuiiii. Eine weitere Sorge weniger. Als das erledigt war, Rechnungen, Überweisungsschein und Röntgenbilder verstaut, stand tatsächlich auch schon ein Taxi vorm Eingang, dessen Fahrer noch auf seine Bezahlung durch seinen letzten Fahrgast wartete. Praktisch für uns, denn wir konnten direkt einsteigen und sind wenige Minuten später wieder auf dem Weg zum Hafen gewesen, wo uns abermals keine Zeit blieb einen Snack zu kaufen, da die nächste Fähre schon gleich ging. Mit den Rückfahrtickets haben wir uns direkt in die eher kurze Schlange begeben und sind mit glücklichen Urlaubern zurück auf die Insel. Wie gut, dass wir noch gefrühstückt hatten.
In zwei Tagen würden wir schon wieder auf die Fähre müssen. Aber diesen Gedanken verschoben wir erstmal in die hinterste Abseite. Erstmal zurückkehren, ausruhen, Ruhe finden.
Das Bedürfnis danach war natürlich besonders bei unserem Töchterlein ausgeprägt, denn die hatte die Nacht wohl am wenigsten schlafen können und so viel durchgemacht, dass sie nach einer kurzen Weile auf meinem Schoß auf der Fähre eingeschlafen ist. Trotz Wind und Musiklärm, für den ich in diesem Moment einfach zu gern eine Aus-Taste zum Draufhauen gehabt hätte.
Irgendwie haben wir es hinbekommen unser bißchen Gelumpe von der Fähre zu bringen während ich die schlafende Tochter ins Taxi gehieft habe, wo sie auf der kurzen Fahrt auf der Rückbank neben Myriam pennen konnte, die den Sohnemann wie üblich in der Trage hatte. An der Rezeption haben wir noch kurz ein Statusupdate abgegeben und uns abermals für die Hilfsbereitschaft bedankt, dann sind wir zurück ins Zimmer, wo für die Kinder das Bett wartete. Gerade ein mal 4,5h hatte der Trip zum Krankenhaus gedauert. Absolut keine schlechte Zeit, speziell wenn man die ganzen Transfers bedenkt. Und die Kinder haben trotz aller Strapazen einfach so toll mitgemacht.
Das Wetter war inzwischen zwar einen Ticken besser geworden, aber immer noch saumäßig windig. Das nutzten die Windsurfer, die zwischenzeitlich mit 12 ihrer Drachen unterwegs waren während sich sonst kein Mensch an den Strand oder ins Wasser begeben hat. Da uns drei Wachgebliebenen der Hunger plagte, haben wir Erwachsenen uns der Reihe nach jeder jeweils an der ziemlich leeren Strandbar, deren Fensterläden weiterhin geschlossen blieben, ein Club Sandwich geholt. Das war glücklicherweise – denn das Frühstück lag ja schon eine Weile zurück – derart überladen mit Hühnerbrustfilet, Spiegelei, Bacon und Sandwichsoße, dass es nur gerade so noch in den gierigen Schlund passte. Genau richtig in dem Moment. Zusammen mit der schönen Portion Pommes, die natürlich dazugehört, war das für 150$ am Strand ein regelrechtes Schnäppchen. Im Imbiss in Berlin gäbe es das auch nicht günstiger.
Der Sohnemann kam zudem in den Genuss bei uns beiden Pommes stibitzen zu dürfen. Mit dem kleinen Brocken in der Trage bin ich danach mit umgeworfener Windjacke wieder raus an den Strand und letzteren eine ganze Weile auf und ab gelaufen. Viel mehr blieb auch nicht zu tun übrig. Der feine Herr ist dann recht schnell eingepennt, hatte es wohl zu der Zeit auch bitter nötig und so habe ich ihn noch ein wenig mit der Kapuze der Trage versteckt, dass er nicht ganz so viel Wind abbekäme.
Da ich nicht immer nur vorm Na Balam hin und her laufen wollte, dachte ich, ich könne ja mal bei unserer Unterkunft von damals vorbei schauen, ob es das Tor zum Strand und die komischen Schilder bezüglich Strandliegennutzung noch gibt.
So richtig konnte ich es aber nicht mit den sonnigen Erinnerungen ans Karibikparadies in Verbindung bringen, von denen ich rational wusste, dass sie in dieser Umgebung entstanden waren. Lag vielleicht am Wetter.
Außerdem bereitete mir der Wind Sorge, der ziemlich kräftig an den hohen und gut beladenen Kokospalmen zerrte. Deswegen habe ich mich immer nur so kurz wie möglich unter denen aufgehalten. Wer weiß wie weit so eine Nuss fliegt?
Da nix Besseres zu tun war, bin ich weitergestapft zum anderen Ende des Strandes. Sonderlich weit ist es ja nicht. Mit Kind und Sand war es aber doch eine ganz gute Strecke.
Als sich der Strand im Westen, zum Festland hin, dem Ende zuneigte, waren im Wasser seltsame Buhnen zu sehen. Wie dunkle, rundgespülte Felsen.
Zudem an Land ein mehrstöckiger Apartmentkomplex, wie wir ihn eher in Cancun erwarten würden. Ist bestimmt auch nicht so schlecht mit der Aussicht vom Balkon, aber man ist dann Luftlinie doch wieder recht weit weg vom Strand, auch wenn die Projektion in 2D nur wenige Meter da hin zurücklegen müsste.
Ein paar Schritte weiter offenbarten sich die vermeintlichen Felsen als Gummibuhnen, bzw. Sandsäcke.
Unweit davon entfernt endete der Strand bei einem nicht grade hübschen Häuschen, das mit reichlich Beton vor dem Wasser abgesichert war. Ne, also, da war unsere Unterkunft wirklich schöner gewählt.
Immerhin ließ sich die Abendsonne nochmal blicken, sodass ich beim Zurückschlurfen gutes Licht hatte. Langsam wurde mir der Sohnemann auch etwas schwer und die Trage war zu Beginn schon nicht gut gebunden gewesen, weshalb ich ein wenig mehr Tempo gemacht habe. Ein paar Grüppchen von ebenfalls in Windjacken und Pullover gepackten Mexikanern passierten wir noch, die die Sonne zum Erinnerungsfotos-Knipsen nutzten, dann waren wir wieder in unserem Zimmer, wo sich derweil auch das Töchterlein nach knapp 4h ausgeschlafen hatte.
Für jenes gab es zum Abendbrot noch zwei recht große Kugeln Schoko-Eis, die wir ebenfalls beim Strandrestaurant wenige Meter von uns entfernt geholt haben. Ich hatte es ja versprochen. Mit gebrochenem Arm darf man durchaus zwei tennisballgroße Eiskugeln Abendbrot nennen. Nach deren genüsslichem Verzehr und noch etwas Abhängen während draußen der Wind wütete war es dann auch für uns alle Zeit den verlorenen Schlaf nachzuholen.