Wettertechnisch schien der Tag genau da anzufangen wo der letzte aufgehört hatte. Bei grauem Himmel und jeder Menge kühlem Wind sind wir zum Frühstück und nach einem Abstecher ins Zimmer danach an den Strand getrottet. Wie zuletzt beschrieben kann man auf Isla Mujeres ja nicht so fürchterlich viel mehr machen, als sich dort aufzuhalten.
Und das ist normalerweise ja auch gut so, mit Sonne und schmackhaften Dingen. Wenn jedoch die Sonne ausfällt, bricht das alles ein wenig in sich zusammen und so fragte sich auch Myriam was wir denn den lieben langen Tag machen sollen. Ich konnte nur die einzig logische Antwort erbringen, dass wir uns den Tag am Strand um die Ohren schlagen. Würden wir halt ein paar von den Deutschland-Kleidungsstücken wieder aus dem Schrank holen müssen, die wir nach dem Hochland dort hin verbannt hatten.
Also gut, so schlimm war es dann auch wieder nicht, aber einfach in T-Shirt und kurzer Hose hätte auch schnell zu Unwohlsein geführt. In der Erwartung, dass es später eventuell noch aufklaren würde, haben wir wieder die Strandliege vom Vortag belegt und waren damit auch weit und breit die Einzigen, die sich bei den Böen im Sand herumtrieben.
Praktisch, dass wir den Kindern am Vorabend noch die neuen Buddeleimer mit Schippen geholt hatten, denn dadurch blieb mit deren Einweihung wenigstens etwas zu tun für die Kleinen. Wir als Erwachsene hätten ja gut das Nichtstun genießen oder wenigstens am Handy daddeln können, was denen vorenthalten bleibt. Wobei das mit WLAN vorne am Strand auch eher Roulettespielen war. Eigentlich in Ordnung, man will ja die Umgebung genießen.
Nach etwa einer Viertelstunde kam tatsächlich auch mal die Sonne für ein paar Minuten raus, um den Strand gewohnt karibisch und idyllisch wirken zu lassen, nur um sich dann nochmal für eine ganze Weile zu verziehen und uns unter einer grauen Wolkendecke in der eher mittelmäßig warmen und immer noch windigen Vormittagsluft zurück zu lassen.
Während die Kinderchen sich stritten welches von dem komplett identischen Sets Eimern und Schippen nun wem gehört bin ich mal vor zum Wasser, wo sich immernoch die am Vorabend gebildete, etwas seltsame Kante zur Brandung hin abzeichnete. Da hatten die Wellen wohl etwas den Strand abgetragen, sodass es gar nicht mal mehr ganz so flach ins Meer ging.
Neben uns ließ sich ganz vorne, am windigsten Teil des Strands, auch ein Vloggerpärchen nicht beirren. Ob die wohl ein Video darüber gedreht haben wie seltsam das Wetter auf Isla Mujeres ist? Vielleicht hätte ich mal nach deren Channel-ID fragen sollen. Oblwohl … noch mehr Atzen, die ihre Videos mit einem ätzend lang gezogenem „heyyy guys, it’s meee“ beginnen und mit dem generischen „if you liked our video hit that thumbs up button and make sure you’re subscribed“ beenden muss ich wohl nicht haben. Hätte allerdings für ne andere Perspektive auf den Urlaub sorgen können.
Weiterhin erpicht über das Wetter waren die Kitesurfer, die schon am letzten Abend auf Stellung gegangen waren. Einsam zogen sie wenige Meter vorm Strand im flachen Wasser ihre Runden, drehten ihre Schrauben und niemand sah ihre tollen Kunststücke.
Zu guter letzt schwebten im starken Wind die Fregattvögel immer wieder quer zum Strand über uns hin und her, die vermutlich in der ihnen gegebenen Art erfreut darüber waren nicht auch nur einen Flügelschlag ausüben zu müssen, um stundenlang einfach die Küste entlang zu zischen.
Leider war somit auch nichts mit Drohne fliegen, was ich wiederum gerne mal gemacht hätte. Speziell mit leerem Strand, an dem sich keiner ausspioniert fühlen muss. Aber obwohl die Mavic ziemlich anzieht, wollte ich es bei diesem Wind, der teilweise sicherlich auch mal an die 40km/h rangeschlittert ist, nicht riskieren. Einzelne Böen sind da erst recht gefährlicher, als durchgängiger, berechenbarer Luftzug, gegen den sich das Fluggerät einfach in Schräglage begeben muss.
Anderthalb Stunden nach Aufschlagen unseres Lagers riss die Wolkendecke mal etwas dauerhafter auf und siehe da, es tauchte mit einem mal die ganze Strandbelegschaft auf.
Windig war es trotzdem noch und für Joni mal Zeit zum schlafen. Gut, dass wir in Cholula den reboso gekauft haben, mit dem er zugedeckt werden konnte.
Das Töchterlein hingegen wollte lieber mal die Zehen ins Wasser halten. Für richtig baden war es aber noch zu kalt, weshalb wir sie vertrösten mussten. Keiner von uns wollte sich das Gebibber antun. Sie wäre gerne zum Kinderpool auf der Seite des Geländes abseits vom Strand, denn dieser ist beheizt. Da aber nun endlich die Sonne da war und es ein wenig strandiger und angenehmer war, haben wir sie auf den Folgetag vertröstet. War ja noch bißchen Zeit.
Nach einer Weile Füße genetzen ging es an die Nachmittagssnacks und für mich mal an ein nettes, unverantwortliches Getränk. Konnte man ja nicht mit ansehen, wie sich alle um uns rum Cocktails und Bier auf die Hucke geben.
Ne urraca ließ sich auch mal blicken und stolzierte auf der Strandliege vor uns rum als hätte sie die erfunden. Zum Glück ist sie nicht auf unsere Chips los.
Als jene alle waren, ist Myriam mit den Kindern ins Zimmer gegangen. Ich glaube aus Gründen des Nachmittagsschlafs oder so. Ich hatte den Strand quasi für mich allein und das musste genutzt werden.
Mit schön Mucke in den Ohren und noch nem kleinen Bierchen ging das so richtig ab. Einfach mal Sonne genießen, ohne sich um die Kleinen Sorge zu machen. So schön es mit ihnen auch ist. Natürlich hatte Myriam die dafür am Hals, was mir auch die ganze Zeit im Hinterkopf rumschwebte. Also war schnelles Genießen angesagt. Falls sich auf ein mal Whatsapp meldet, dass ich gefälligst mal auftauchen soll.
Doch die Nachricht ließ auf sich warten. Ich hörte Mucke und hörte Mucke und lag in der Sonne und genoß die Briese. Wissend, dass das irgendwann mal ein Ende haben musste und ich eigentlich mal nachschauen sollte wie es läuft.
Das tat ich dann auch, fand zum Glück nur eine leicht genervte Gesellschaft vor. Da jene auch Interesse an etwas anderem außer Chips mit Käsedip hatte, haben wir uns dann umgezogen, um in die Stadt zu gehen. Dabei sind wir auch an der Post vorbei, was Hoffnung aufkeimen ließ eventuell noch eine Postkarte z.B. an die Kita zu schicken. Jedoch konnte man nirgendwo einen Eingang ins Gebäude erblicken, welches eigentlich auch so aussah, als wäre es nur eine verlassene Ruine. Aber da kann die Erosion durch nasse, salzige Meeresluft wohl täuschen, nehme ich an.
Zwei Ecken weiter waren wieder an der Calle Miguel Hidalgo, auf der sich die meisten Restaurants tummeln. Vor denen wiederum tummelten sich die Restaurantschreier, deren einzige Aufgabe es ist Leute anzuquatschen, um sie dazu zu bewegen in diesem Restaurant zu essen. So ein bißchen wie street artists, sobald du anhältst, hast du verloren. Da wir keine Lust mehr hatten uns mit denen großartig auseinanderzusetzen, haben wir beschlossen, dass Lily entscheidet in welches Restaurant wir gehen. Die war ebenfalls nicht von den ganzen aufdringlichen Typen zu begeistern und so ging es an diversen mexikanischen Etablissements und US-amerikanischen Footballbars vorbei zum Asia Caribe, das für sie toll zu sein schien. Das Konzept hat uns als Erwachsene nicht so überzeugt, aber wenn wir sie schon mit der Verantwortung beladen, sollte ihr Wort wohl etwas gelten. Und immerhin gab es für die Kinder auch fish fingers, die bei denen ganz gut ankamen.
Unsere Gerichte waren letztlich auch ganz lecker und recht asiatisch, wie wir es von zuhause kennen. Kein verrückter Karibik-Spin auf das Ganze.
Satt und müde haben wir uns auf dem Rückweg zum Na Balam gemacht, haben es uns aber nicht nehmen lassen an einem der Straßenstände am Ende der Fußgängerzone noch ein paar gefüllte Waffeln zu bestellen. Dabei unterstützen sich die Stände an den verschiedenen Straßenecken und als wir klargestellt hatten, dass uns ohne Banane ganz lieb wäre, wanderte die Waffel einfach ein mal diagonal über die Kreuzung zu demjenigen, der dort lieber mit plátano haben wollte. Ansonsten wurden die Dinger in dieser lustigen Presse gemacht, die der Herr da oben über der Flamme schwenkt und waren somit eigentlich dünn wie ein crêpe, aber eben waffelig angeröstet. Ich hatte bißchen Sorge mit dem Töchterlein auf den Schultern als nächstes warmes Nutella auf dem Kopf gekleckst zu bekommen, aber die war zum Glück unbegründet.
Im Hotel war es natürlich Zeit die Kinder bettfertig zu machen, die schon etwas überdreht auf den Betten tobten. Als die so weit waren und Myriam nochmal kurz ins Bad verschwunden hab ich mir die beiden in Erwartung ihrer baldigen Nachtruhe nochmal geschnappt und auf den Arm genommen. Kleiner rechts, Große links. Nach einer Weile verließ mich aber doch die Kraft und ich habe das Töchterlein auf dem Bett abgesetzt, was dieser natürlich nicht so recht war. Wenn, dann solle ich sie werfen. Also nochmal rauf auf den Arm „Wirklich werfen?“ „Ja.“ und das Kind sachte aufs Bett beworfen. Das war langweilig. „Du sollst mich doller werfen!“
Das jedoch erwies sich als nicht so gute Idee. Beim zweiten mal Hopsen vom Arm auf die Matratze 50cm tiefer ist irgendwas schief gegangen. Das Töchterlein blieb liegen wie sie gelandet war und weinte und weinte. Myriam kam überrascht und irritiert was wir nun schon wieder für Quatsch gemacht haben, damit eins der Kinder weint. Jedoch stellte sich recht schnell raus, dass es nicht „nur mal eben irgendwo angestoßen“-Weinen war, sondern irgendwas eher schlimmeres. Was genau, konnte wegen der Schmerzen nicht vermittelt werden. Helle Aufregung. Sorge was nun sein wird. Was wir tun können. Gehirn und Körper schalten auf absoluten Stressmodus um.
Sie will den Arm nicht bewegen. Gebrochen? Oder nur Handgelenk verstaucht? (Hab ich ein Knacksen gehört beim Fallen aufs Bett? Ich glaube. Oder nicht?)
Es kulminierte da rin, dass ich mir das Kind behutsam auf den Arm genommen habe und mit ihr zum Frontdesk bin, um nach Krankenhäusern oder Arztpraxen zu fragen. Ob es sowas überhaupt auf Isla Mujeres gäbe? Nach kurzer Erklärung rief uns die Dame ein Taxi, dessen Fahrer uns zum Krankenhaus fahren und uns dort möglichst unterstützen sollte. Oh man, 3s Quatsch machen und schon ist der Urlaub im Eimer. So ein blöder Mist. (um es mal ganz durch die Blume zu sagen) In der Dunkelheit mit schnüffelndem Kind schräg auf dem Arm kreuz und quer ins Taxi gequetscht fuhr uns zwei der Taxista zum hospital naval, wo die Ärze wohl etwas besser ausgebildet sind, die Behandlung dafür aber auch mehr kostet. Als ob mir nicht eh schon der Angstschweiß überall stand. Ob noch genügend Geld auf der Kreditkarte ist für tausende USD an Behandlungskosten? Evlt. müsste der Schwager zuhause noch was überweisen oder die TAN-Liste rüber schicken. Die Dame vom Frontdesk hatte dann noch erklärt „Also um die 100USD könnten es schon werden“. Ja was reden wir hier noch, los gehts verdammt!
Trotz uralter Stoßdämpfer, wildem Be- und Entschleunigen und ein paar mieser topes auf dem Weg zum Krankenhaus, ist das Töchterlein nach all dem Schrecken und Weinen in meinem Arm eingeschlafen. Nur recht so, dass mir auch langsam alles weh tat, von der merkwürdigen Sitz- und Halteposition. Das hatte ich mir redlich verdient. Unsere kleine Maus, wegen mir verletzt. Ich hatte ihr natürlich inzwischen alles mögliche Versprochen, Eis, Spielzeuge, was auch immer sie wöllte. Das linderte jedoch ihren Schmerz nicht. Wenn es mir gegeben wäre zu weinen, ich hätte es wohl die ganze Fahrt getan.
Beim Krankenhaus angekommen fand sich zunächst ein verschlossenes Gitter mit Profilen, die wohl selbst einer Bombardierung standgehalten hätten. Es ist ja nicht umsonst das Marinekrankenhaus. Trotz des abweisenden, ersten Eindrucks hat man uns noch hineingelassen. Dann mussten wir zunächst mal erklären was passiert war. Lily bekam einen Herzmonitor an die Fingerspitze und musste geweckt werden, um ein paar Fragen zu beantworten. Nach etwa 10min. hin und her kam man zu dem Ergebnis, dass man uns nicht helfen könne, zumal im Marinekrankenhaus kein Röntgengerät vorhanden war. Das gäbe es nur auf dem Festland, aber ob man da noch eine Fähre bekäme … zurück würde man auf jeden Fall nicht kommen. Für die Konsultation mussten wir immerhin nicht zahlen.
Also mussten wir zurück ins Taxi und zum Hospital general fahren. Dort sah es in etwa genau so leer und verlassen aus wie bei dem zuvor. Nach kurzem warten jedoch durften wir ins Behandlungszimmer neben dem Empfang. Nochmal die Erklärung was vorgefallen war und diesmal etwas spezifischere Fragen dazu wie sich der Arm anfühlt. Im hospital naval war erstmal die Rede davon wie ihr Gesamtzustand ist, mit Kreislauf, Bewusstsein und allem, egal wie oft ich versichert habe, dass es um den Arm geht. Das nahm der Doktor im hospital general im Gegenzug ernst und erkundigte sich wo genau der Arm schmerzt, wobei ich natürlich die ganze Zeit übersetzen musste. So kamen wir immerhin darauf, dass wohl etwas an der Außenseite des Unterarms ist, Handgelenk und Ellbogen aber nicht weiter betroffen. Da ich zum ersten mal die Hände frei hatte, habe ich auch Myriam ein Foto von ihrer tapferen Tochter geschickt, die seit ihrem ersten Einschlafen im Taxi keine einzige Träne mehr geweint hatte und sogar den Arzt sachte mit der Fingerspitze den Arm befühlen ließ.
Dieser nahm an, dass die Elle gebrochen sei, konnte es aber, ebenso wie die Damen im Hospital naval, aufgrund des fehlenden Röntgengerätes nicht genau überprüfen. Dafür würde er uns an einen Unfallchirurgen auf dem Festland überweisen und wenn wir die letzte Fähre noch bekämen, würden wir es sogar noch dort hin ins Krankenhaus schaffen. „Keinesfalls!“ dachte ich mir. Mit einem total müden Kind mit potentiell – ziemlich wahrscheinlich – gebrochenem Arm mit genau null Ausstattung, keinen Anziehsachen und keiner Unterkunft dort würde ich nicht nachts mit der Fähre rüber nach Cancun. Das könnte am nächsten Tag passieren, wenn wir alle zusammen fahren würden. Der Doc konnte immerhin eine Schiene und eine Schlaufe an den Arm legen, sodass er für das Schlafen stabilisiert war. Dann rief er noch bei dem besagten Chirurgen an, konnte aber niemanden erreichen, sprach auf die Mailbox. Mit Behandlungsschein und Überweisung wurden wir zum Empfang entlassen, an dem wir ganze 248$MXN für die Beratung und Behandlung löhnen mussten, die zu zahlen mit Kind auf beiden Armen sich allerdings durchaus schwierig gestaltete. Dann konnten wir zurück ins Hotel, mit dem Taxifahrer, der gnädigerweise draußen gewartet hatte. Nach wenigen Sekunden war das Töchterlein wieder eingeschlafen und ließ sich auch von Topes und wildem Gefahre nicht mehr wecken.
Nach knappen zwei Stunden Bangen brachte ich so Myriam das verletzte Kind wieder zurück, das mir schlafend ein noch viel schlechteres Gewissen machte, süß und unschuldig wie es da lag, mit der Schiene am Arm. Die Gespräche kreisten um Rückflug umbuchen und nach Hause abhauen und darum mir Mut zu machen. Selbstmitleid bringt in so einer Situation natürlich auch sehr wenig. Dann begann der Versuch Schlaf zu finden, bevor wir am Folgetag zumindest erstmal in geschlossenen Reihen nach Cancun fahren würden.
Wenn man bedenkt, dass ein paar Tage vorher noch die Windeln der große Stressfaktor waren …